Vorsichtig ausgedrückt nennt man so etwas widersprüchlich: Da haben Millionen Deutsche seit dem Börsengang der Telekom ihr Herz für die Aktie entdeckt und kaufen, was das Zeug hält. Damit sind sie, wenn man so will, Kapitalisten geworden - also jemand, der seine Brötchen (auch) dadurch verdient, dass er Geld für sich arbeiten lässt. Weniger ideologisch betrachtet, nennen wir so jemanden Unternehmer- Frauen und Männer, die ihr Kapital in eine Firma investieren, um Waren herzustellen und zu verkaufen oder um Dienstleistungen anzubieten. Damit geben sie anderen Menschen Arbeit, und wenn alles gut geht - was natürlich nicht immer so ist - dann wächst die Firma und stellt noch mehr Leute ein. So hat es, ein Beispiel nur, Paulus Neef gemacht. Im Jahr 1991 gründete еr mit zwei Freunden die Multimedia Agentur Pixelpark AG - heute beschäftigt das Berliner Unternehmen 150 Mitarbeiter.
Аber nein, genug Positives. Denn Wirtschaft, Aktiengesellschaften, Unternehmer - das sind für erstaunlich viele Deutsche Institutionen, mit denen sie sich - Aktien hin, Aktien her - lieber nicht so ganz identifizieren. Kaum zu glauben, аbеr mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland denkt auch heute noch, dass es "der Wirtschaft, den Unternehmen sehr gut gehen kann, ohne dass die Bevölkerung davon etwas hat".
Besonders aufschlussreich ist dabei, was genau die Menschen unter "der Wirtschaft" verstehen. Über die Hälfte der Bevölkerung vertritt die Auffassung, wenn von "Wirtschaft" die Rede ist, seien in der Regel die großen Unternehmen gemeint. Nur für 36 Prozent gehören auch die mittleren und kleinen Betriebe dazu - die stellen aber, wenn man die Grenze bei 500 Beschäftigten zieht, fast 80 Prozent aller Arbeitsplätze in der Bundesrepublik, sind also ohne Zweifel das Herz der deutschen Wirtschaft.
"Die letzten Jahre waren von einer wachsenden Entfremdung zwischen Wirtschaft und Bevölkerung geprägt", lautet das Fazit einer repräsentativen Befragung, die das Allensbacher Institut für Demoskopie 1999 durchgeführt hat. Diese Entfremdung, so heißt es weiter, zeige sich "sowohl in wachsender Distanz und Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Wirtschaft als auch in Form von tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten über den künftigen Kurs von Wirtschaft und Gesellschaft". In den folgenden Kapiteln wollen wir uns dieses Auseinanderdriften einmal näher anschauen, indem wir die Meinungen der Deutschen darlegen und analysieren, Trends aufzeigen und - wo es möglich ist - dem einen oder anderen Vorurteil und Missverständnis durch nüchterne Fakten entgegensteuern. Dabei legen wir besonderes Augenmerk
- auf die Einstellung der Bevölkerung zur Wirtschaft, insbesondere zum System der Sozialen Marktwirtschaft;
- auf die Einstellung der Bevölkerung zur Globalisierung und zu den notwendigen Reformen in Deutschland;
- und auf die zum Teil sehr großen Stimmungsunterschiede zwischen Ost und Westdeutschland.